Einführung

Erwerb und Edition des Großen Stammbuchs

Die vorliegende digitale Editionswebsite widmet sich dem Großen Stammbuch des Augsburger Kaufmanns, Kunstagenten und politischen Korrespondenten Philipp Hainhofer, das sich als Cod. Guelf. 355 Noviss. 8° in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel befindet. Dieses Stammbuch galt bis 2006 als verschollen und wurde 2019/2020 durch die gemeinsame Anstrengung mehrerer Förderer aus Privatbesitz für die Herzog August Bibliothek erworben, die bereits große Teile des Nachlasses Hainhofers besitzt, insbesondere seine umfangreiche Korrespondenz und Reiseberichterstattung, die seit 2017 in einem DFG-Langfristvorhaben (Reiseberichte und Sammlungsbeschreibungen 1594–1636) erschlossen und digital ediert wird.

Verbunden mit dem Erwerb des Großen Stammbuchs förderten das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur und die VolkswagenStiftung ein dreijähriges Forschungsprojekt, das die Entstehung des Stammbuchs und seiner textlichen wie bildkünstlerischen Ausgestaltung zum Gegenstand hat. Deren Ziel ist bzw. war die vorliegende digitale Edition (s. Projektbeschreibung). Parallel dazu ist eine das Große Stammbuch vorstellende Monographie (Jagodzinski 2024) in der Reihe „Patrimonia“ der Kulturstiftung der Länder in Verbindung mit der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel vorgelegt worden.

Der Stammbuchhalter Philipp Hainhofer

Der Stammbuchhalter Philipp Hainhofer, 1578 in eine Augsburger Kaufmannsfamilie hineingeboren, absolvierte nach dem Schulbesuch in Augsburg und Ulm zwischen 1594 und 1598 die üblichen Sprach- und Studienreisen nach Italien und in die Niederlande, die zugleich seine künstlerische Auffassung nachhaltig prägten und durchlief dabei eine kaufmännische Ausbildung. Er geriet früh in die konfessionellen Auseinandersetzungen seiner Zeit hinein. Gleichwohl gelang es ihm ab 1601 ein eigenes Unternehmen als Konzipierer, Vermittler und Händler von Büchern, Kunst- und Luxusobjekten aufzubauen und sich auch selbst in Augsburg eine nicht unbedeutende Kunstkammer zuzulegen. Seit 1607 war er zudem als politischer Korrespondent und Agent tätig. Er arbeitete zunächst für Gesandte der französischen Krone, dann für Markgraf Georg Friedrich von Baden-Durlach und ab 1610 für Herzog Philipp II. von Pommern-Stettin bis zu dessen Tod 1618. 1611 war er für Herzog Wilhelm V. von Bayern tätig und ab 1613 für Herzog August II. von Braunschweig-Lüneburg.

Auf zahlreichen Reisen für seine Auftraggeber führte Hainhofer stets sein Stammbuch, von ihm selbst auch schlicht als „mein buech“ bezeichnet, mit sich und setzte es kontinuierlich als politisch, diplomatisch wie geschäftlich und kommunikativ wirksames Instrument ein, um neue Netzwerke zu knüpfen. Es war deshalb für ihn auf unterschiedlichen Ebenen von außerordentlichem Wert.

Krankheit und Inflation führten ab 1620 zu einem Einbruch in Hainhofers Tätigkeit. Auch die sonst eifrig gesammelten Stammbucheinträge existieren zwischen 1622 und 1624 nicht. Als Protestant verlor er infolge des Dreißigjährigen Krieges 1629 alle seine Ämter in Augsburg und musste einen wirtschaftlichen Niedergang verkraften, abgesehen von einer kurzen Blütezeit während der Vorherrschaft Gustav II. Adolfs, die ihm 1632 die Erhebung ins Augsburger Patriziat brachte. Hainhofer starb 1647. Sein schriftlicher Nachlass ging nach dem Tod seines Sohnes Georg Ulrich 1659 zu großen Teilen an Herzog August II. von Braunschweig-Lüneburg. Das Große Stammbuch hingegen – von Hainhofer zu Lebzeiten sorgsam gehütet – war damals schon nicht mehr dabei.

Einordnung und Würdigung des Großen Stammbuchs

Stammbücher, auch Alba Amicorum oder Freundschaftsbücher genannt, entstanden um 1530 im Umkreis der Wittenberger Studentenschaft. Sie waren ein Zeugnis der persönlichen wie gesellschaftlichen Netzwerkbildung und wurden rasch über diesen Kreis hinaus populär. Als ein solches Medium dienten sie aus wissenschaftlichen und geschäftlichen, diplomatischen und militärischen Gründen Reisenden aller Art. Sie spiegelten also nicht nur regelrechte Freundschaften, sondern auch andere Beziehungen wider. Um 1600 erreichte die Stammbuchkultur eine ausgesprochene Blüte, die bis um 1800 anhielt.

In den zumeist kleinformatigen Alben sammelte man üblicherweise handschriftliche Einträge von befreundeten, bekannten oder wertgeschätzten Personen, an die man sich erinnern wollte oder von denen man sich Protektion erhoffte. So dienten sie als Ausweis der sozialen Stellung oder der Weltläufigkeit der Stammbuchhalter*innen, aber auch der Inskribent*innen. Die Inskriptionen folgten gewissen Konventionen. Übliche Bestandteile waren Unterschrift, Datums- und Ortsangabe, darüber hinaus waren persönliche Widmungen, Sentenzen, Motti, kurze Reim- oder Prosatexte möglich, ebenso verhältnismäßig häufig Wappenzeichnungen oder andere Bildbeigaben, seltener Noten.

Die Popularität der Gattung Stammbuch führte dazu, dass in den Sammlungen von Bibliotheken, Archiven und Museen Tausende von Stammbüchern erhalten und in ganz unterschiedlich intensiver Weise erschlossen sind. Einen Überblick gibt das Repertorium Alborum Amicorum, die weltweit größte Datenbank, die sich dem Nachweis von Stammbüchern (Alba Amicorum) und Stammbucheinträgen widmet. So besitzt beispielsweise die Herzog August Bibliothek allein 170 Stammbücher, das Niedersächsische Landesarchiv in der Abteilung Wolfenbüttel gar über 300 und damit die größte Sammlung in ganz Niedersachsen, die seit 2021 über ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Digitalisierungs- und Erschließungsprojekt zugänglich gemacht wird.

Philipp Hainhofer begann sein Stammbuch schon in früher Jugend und erweiterte rasch die übliche Gestalt und Funktion seines Albums, indem er Miniaturenschmuckblätter – möglichst von namhaften Künstlern – einband und sich gezielt um die Einträge hochrangiger Persönlichkeiten bemühte, ja, sie regelrecht einwarb. Im Rahmen seiner Tätigkeit als politischer Agent und Kunstvermittler setzte er das Stammbuch ab etwa 1610, als es bereits über 100 Seiten umfasste, gezielt ein. Er legte es bei passender Gelegenheit seinen fürstlichen Gesprächspartner*innen und Auftraggeber*innen vor, die es in der Regel interessiert betrachteten, ausliehen und die vorhandenen Einträge verglichen. Hainhofer wiederum notierte in seinen Reiseberichten akribisch, wer wie lange und mit welcher Reaktion das Stammbuch bei sich hatte. Die erzielten Audienzen gingen mit erneuten diplomatischen oder Kunstaufträgen einher, ebenso zeitigten sie häufig die Zusage weiterer Beiträge von Standespersonen als Gunstbeweis. Das Stammbuch selbst wurde Gesprächsstoff und eine Einsicht ausdrücklich erfragt. Auch die immer wieder von Hainhofer zitierte Aufzählung der für seine Stammbuchminiaturen gewonnenen Künstler steigerte kontinuierlich sein Prestige. Beispielhaft deutlich wird der Einsatz des Stammbuchs auf Hainhofers Reise nach München 1611 (vgl. dazu den Kommentar bei (Wenzel 2020ff., Stammbücher Philipp Hainhofers).

Aufgrund der stetig anwachsenden Zahl der Albumblätter teilte Hainhofer wohl 1612 auf Anraten Herzog Wilhelms V. von Bayern die Beiträge nach Stand der Inskribent*innen differenziert in (mindestens) zwei unterschiedlichen Alben auf. Beide verfügten aber weiterhin über eine flexible Einbandart, um Seiten hinzufügen und entnehmen zu können (Wenzel 2020ff., München 1611, fol. 170v, Variante Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 11.22 Aug. 2°, fol. 88r). Der Inhalt des Stammbuchs konnte so den jeweiligen diplomatischen oder repräsentativen Erfordernissen angepasst werden – waren doch die Fürsten am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges durch widerstreitende und wechselhafte, konfessionelle oder dynastische Bande in politische Lager gespalten.

Das Große Stammbuch in seiner heutigen Form ist nicht nur vom Stand der verewigten Personen, sondern auch vom Rang der künstlerischen Bildausstattung das prächtigste und kostbarste unter Hainhofers Stammbüchern. Mit dem frühesten datierten der erhaltenen Beiträge von 1596 und dem spätesten von 1633 umfasst es den Zeitraum von der Studien- und Frühzeit bis zum Höhepunkt von von Hainhofers Wirken. Es versammelt vorwiegend auf Pergament und seltener auf Büttenpapier Unterschriften, Widmungen, Wappendarstellungen von Kaisern, Königen und weiteren Standespersonen mit Bildschmuck von zum Teil sehr namhaften Künstlern des frühen 17. Jahrhunderts, darunter Johann Matthias Kager, Lucas Kilian und Anton Mozart. Schmuckpapiere am Anfang und am Ende sowie ein ebenso durchdachter wie repräsentativer Einband vervollständigen das Buch.

Derart umfänglich mit farbigen Miniaturen, Federzeichnungen und sogar Seidenstickereien gezierte Stammbücher wie das Große Stammbuch Philipp Hainhofers waren eine seltene und kostspielige, oder wie Theodor von Mörner formulierte, eine gleichsam „fürstliche“ Angelegenheit (Mörner 1865, S. 269) – so wie das von ihm zeitgleich als Agent erfolgreich mitbetreute „Neue Stammbuch“ Philipps II. von Pommern-Stettin.

Innerhalb der frühneuzeitlichen Gattung ist Hainhofers (Großes) Stammbuch also gleich in mehrfacher Hinsicht ein besonders bedeutsames Glanzstück, was seine Tiefenerschließung um so wichtiger und lohnenswerter macht.

Überlieferung von Hainhofers Stammbüchern

Aus der relativen Mobilität der einzelnen Seiten, dem heute überlieferten Bestand und aus der umfangreichen Korrespondenz Hainhofers vor allem mit Philipp II. von Pommern-Stettin lässt sich schließen, dass eine unbestimmte Anzahl an ehemals existenten Blättern heute verloren ist. Die Umstände der Verluste sind wohl unterschiedlicher Natur.

Zum Teil hängen sie unmittelbar mit den konfessionellen Fronten des Dreißigjährigen Krieges zusammen. Kurfürst Maximilian I. von Bayern hat in den 1630er Jahren nachweislich mehrere Blätter aus Hainhofers Stammbüchern entfernt. Nach der Übergabe Augsburgs an die bayerischen Truppen 1635 hatte er die damals drei Stammbücher Hainhofers eingefordert und erst 1937 auf Vermittlung des bayerischen Hofmarschalls Maximilian Kurtz von Senftenau (1595–1662) und noch dazu nicht vollständig an den Stammbuchhalter zurückgegeben. Hainhofer musste zu seiner Bestürzung feststellen, dass verschiedene Inskribent*innen Maximilian wohl derart missfallen haben, dass er sowohl seinen eigenen Beitrag, als auch die von anderen Wittelsbachern und deren Verbündeten hat herausnehmen lassen, ebenso wie er Gefallen an einigen Kunststücken aus dem Stammbuch gefunden hat (siehe dazu ausführlich: Wenzel 2020ff., Stammbücher Philipp Hainhofers). Das erklärt sowohl das Fehlen prominenter und ehemals im Stammbuch nachgewiesener Beiträge, z. B. von Maximilians Vater Wilhelm V., seinem Bruder Ferdinand, Erzbischof von Köln, als auch den Zuwachs einzelner Stammbuchblätter und Miniaturen in Maximilians Münchener Sammlungen in diesem Zeitraum (s. hierzu: Timann 2024, S. 16–21). Dazu zählt auch etwa die Seite des Erzherzogs (und später Kaisers) Ferdinand, heute in München, Staatliche Graphische Sammlungen, Inv.-Nr. 5692 Z.  Zu den verschollenen Beiträgen, die infolge Maximilians Eingriffs entfernt worden sind, könnte u. a. auch der Eintrag und die 200 Dukaten teure beigefügte Miniatur des Erzbischofs von Salzburg, Markus Sittikus von Hohenems (1574–1619) gehören, dessen Amtseinsetzung Maximilian mitbestimmt hatte (siehe dazu: Wenzel 2020ff., Regensburg 1613, fol. 18v)

Möglicherweise sind Hainhofer bzw. seine Erben zusätzlich gezwungen gewesen, sich aus einer kriegsbedingten finanziellen Notlage heraus von einzelnen Stammbuchminiaturen zu trennen. Dies bedeutet zugleich, dass die Erforschung der Entstehungsgeschichte des Großen Stammbuchs (noch) mit zahlreichen Fragezeichen behaftet ist.

Der heute bekannte Bestand von Hainhofers Stammbüchern umfasst vier Bücher und einige Einzelblätter. Diese sind:

  1. das sog. Große Stammbuch mit 228 paginierten Seiten und datierten Einträgen vor allem hochadliger Persönlichkeiten von 1596 bis 1633, Maße ca. 20,8 × 16,0 cm, (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 355 Noviss. 8°)
  2. das sog. Augsburger Stammbuch mit 116 Blatt und Beiträgen von 1596 bis 1619, Blattmaße ca. 20,5 × 16,0 cm (Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Leihgabe der Industrie- und Handelskammer Schwaben, Inv.-Nr. LG 2008-20)
  3. das sog. (Kleine) Wolfenbütteler Stammbuch mit 532 Seiten, darunter 240 Leerseiten, und Einträgen von 1593 bis 1631, Maße ca. 20,0 × 15,5 cm (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 210 Extrav.)
  4. das kleinformatige sog. Kleine Pommersche Reisebüchlein mit 548 Seiten und Einträgen von 1616 bis 1646 (Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 84.5 Aug. 12°), wofür Hainhofer den Stammbuchdruck von Simon Schamberg: Speculum Morale, Instar Albi Amicorum. […] Sittenspiegel/ Deß Menschen sonderbar Leben belangend : An statt eines Stammen oder Gesellenbuchs zugebrauchen. Franckfurt, in Verlegung deß Authoris, 1614, nutzte und das somit handschriftliche Einträge, hingegen keine Bildausstattung enthält und nicht über herausnehmbare Seiten verfügt.

Die drei erstgenannten sind von ähnlichem Format (großes Quartformat) und besonders das Große und das Augsburger Stammbuch haben einen ähnlichen Einband, der wohl dem entstehungszeitlichen sehr nahekommt. Auch von der Lagenstruktur mit vielen Einzelblättern und der bildlichen Ausstattung sind diese beiden einander am ähnlichsten. Bei der qualitativen Aufteilung der Beiträge auf die einzelnen Alben wirkte wohl „die ordende Hand Hainhofers“ (Krämer 2014, S. 227). Eingriffe anderer Personen sind jedoch nicht auszuschließen.

Doppelungen von Personeneinträgen gibt es innerhalb Hainhofers Stammbüchern manchmal. Zwischen dem Großen und dem Kleinen Wolfenbütteler Stammbuch sind es vier Personen: Ludwig von Erbach (KWS, S. 8), Ludwig Eberhard von Oettingen (KWS, S. 8), Georg Christoph von Urschenbeck (KWS, S. 7), Per Brahe d. J. (KWS, S. 70). Zwischen dem Großen Stammbuch und dem Kleinen Pommerschen Reisebüchlein sind es fünf Personen: Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf (KPR, S. 33), Joachim Ernst von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön (KPR, S. 31), Anna Maria von Pommern-Stettin (KPR, S. 13), Matthias Hoë von Hoënegg (KPR, S. 110), Philipp II. von Pommern-Stettin (KPR, S. 9). Zwischen dem Großen und dem Augsburger Stammbuch gibt es keine Doppelungen von Einträgen.

Darüber hinaus existieren mindestens noch folgende Einzelblätter:

  • zwei von Anton Mozart (monogrammiert) gefertigte, aus dem Großen Stammbuch stammende, auf 1612 datierte Einzelblätter mit den Einträgen des Erzherzogs Ferdinand von Österreich, d. h. des späteren Kaisers Ferdinand II. einerseits und des Kurfürsten und Erzbischofs von Köln, Ferdinand von Bayern, andererseits in der Staatlichen Graphischen Sammlung München, Inv.-Nr. 5692 Z und 5691 Z.
  • eine einzelne Miniatur von Johann König mit Venus und Mars, Vulkan, Merkur und Poseidon sowie einem bekrönten Wappen mit den drei von Herzen umgebenen Löwen Dänemarks in der Mitte, datiert auf 1612–1616, im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg (Min 392 Kapsel 1607a), die auch einst Teil eines der Hainhofer’schen Stammbücher war.

Forschungsstand

Nach dem Tod Philipp Hainhofers und seines Sohnes Georg Ulrich verlor sich die Spur des Großen Stammbuchs zunächst für längere Zeit. Die frühe Forschung behandelte das Stammbuch deshalb vor allem anhand der Erwähnungen in Hainhofers Korrespondenz und Reiseberichten, soweit sie dessen Inhalte und den Umgang Hainhofers damit betreffen. Als wichtigste wären hier die folgenden Publikationen zu nennen:

Friedrich Ludwig von Medem befasste sich 1834 unter anderem mit dem Pommerschen Reisetagebuch. Christian Häutle edierte und kommentierte 1881 die Reisenberichte zwischen 1611 und 1613, Adolf von Oechelhäuser berichtete 1891 über Hainhofers Aufenthalt in Stuttgart 1616,  1979 noch einmal Ludwig Krapf und Christian Wagenknecht. Oscar Doering brachte 1894 und 1901 kommentierte Auszüge der Korrespondenz zwischen Philipp II. von Pommern-Stettin und Philipp Hainhofer und mehrerer Reisen in den Druck.

Danach wurde es eine Weile still. Erst der Auktionskatalog von Bernard Quaritch 1931 griff, freilich summarisch und nicht analytisch, die Inhalte des Großen Stammbuchs wieder auf. Solange es sich in den USA in Privatbesitz befand, ist nach jetzigem Kenntnisstand keine Forschung dazu erfolgt.

Ab den später 1970er und frühen 1980er Jahren erhielt die Forschung zu Stammbüchern als Quellengattung verschiedene neue Impulse. Ziele formuliert Fechner 1979. Als Ergebnisse zu erwähnen sind hier der Sammelband Fechner 1981, Stechows „Lexikon der Stammbuchsprüche“ 1996, das Ergebnis des Katalogisierungsvorhaben in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart von Ingeborg Krekler 1999  und insbesondere seit 1998 die immer weiter wachsende Datenbank Repertorium Alborum Amicorum sowie eine parallel entstandene Monographie von Werner Wilhelm Schnabel 2003. Aktuelle Ansätze bringt auch das Sonderheft „A Renaissance for Alba Amicorum Research“ der Zeitschrift Early Modern Low Countries (6/2022).

Die Stammbücher Philipp Hainhofers traten – zumindest als ein Objekt unter vielen – wieder in Erscheinung, als Ronald Gobiet 1984 den Briefwechsel von 1613 bis 1647 zwischen Philipp Hainhofer und Herzog August d. J. von Braunschweig­-Lüneburg in Auszügen edierte, wobei er sich auf kunstwissenschaftlich relevante, auf Kunsthandel und Kunsthandwerk bezogene Passagen konzentrierte. Eine Münchner Magisterarbeit von Ulrike Knöfel 1995 widmete sich dann dezidiert Hainhofers Stammbüchern und ging detailliert auf einzelne Themen darin ein.

Die Auktionskataloge Christieʼs 2006 und Sothebyʼs 2019 brachten das Große Stammbuch nach langer Zeit wieder „in persona“ an das Licht der Öffentlichkeit. Die Kataloge enthalten naturgemäß zwar wenig neue inhaltliche Informationen, erneuerten aber das Interesse am Großen Stammbuch. So bemühte sich die HAB bereits 2006 um das kostbare Objekt, das damals jedoch wiederum an einen privaten Sammler gelangte. Der Erwerb für die Bibliothek gelang erst im zweiten Anlauf 2019/2020 aus britischem Privatbesitz und erregte einiges Aufsehen in den Medien.

Wenige Jahre zuvor ist eine umfangreiche Arbeit zu den momentan bekannten Stammbüchern und Stammbuchfragmenten Philipp Hainhofers Gerhard Seibold (2014) zu verdanken, der sie mit knappen Informationen zu den Inskribent*innen auswertete (kurz auch Seibold 2104 d). Wenngleich seine Ergebnisse stellenweise der Überprüfung bedürfen (vgl. die Rezension von Michael Wenzel 2014), stellt der reich bebilderte Band doch eine wertvolle Materialbasis für weitere Forschungen dar; so sorgte er auch für die Einspeisung der Einträge des Großen Stammbuchs in das RAA. Die jüngere Hainhofer-Forschung richtet sich verstärkt auf seine Person (eine recht umfangreiche Biographie und ein Nachlassverzeichnis liefert Lüdtke 1999) und seine vielschichtige Agenten-, Korrespondenten- und Gesandtentätigkeit, bei der das Große Stammbuch eine bedeutende Rolle einnahm. Hier sind in erster Linie die Arbeiten von Michael Wenzel an der HAB zu nennen, so das von ihm herausgegebene Themenheft der Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 2014, die Monographie zu Hainhofer als vielschichtiger Akteur (Wenzel 2020) und die von ihm geleitete digitale Edition der Reiseberichte Hainhofers. In Wikipedia wurde dem Großen Stammbuch anlässlich seines Erwerbs für die HAB ein eigener Artikel gewidmet.

Die vorliegende Edition möge nun als ein weiterer Baustein der Forschung zu Stammbüchern im Allgemeinen und zu Hainhofers Großem Stammbuch im Besonderen neue Erkenntnisse und Impulse bringen.