Projektbeschreibung

Das „Große Stammbuch“ des Augsburger Kaufmanns, Kunstagenten und politischen Korrespondenten Philipp Hainhofer (1578–1647) zählt zu den personell wie künstlerisch herausragendsten Beispielen der frühneuzeitlichen Alba Amicorum. Es enthält 228 gezählte Seiten aus Pergament und Papier mit mannigfaltigen Einträgen aus dem Zeitraum zwischen 1596 und 1633. In dieser Zeitspanne verewigten sich hier Kaiser und Könige, Herzoginnen und Gelehrte, Gesandte und Militärs. Die Einträge bestehen meist aus der Unterschrift, einem Wahlspruch, zuweilen einer persönlichen Widmung mit Datum und Ort des Eintrags und in den allermeisten Fällen auch einer Wappenminiatur. Die Beiträger*innen, aber auch Hainhofer selbst als Stammbuchhalter gaben neben heraldischen Dekorationen auch die Einträge ergänzende Schmuckblätter mit Porträts, biblischen, historischen, mythologischen oder allegorischen Darstellungen bei verschiedenen Künstlern in Auftrag. Darunter sind namhafte aber auch bislang noch unidentifizierte Miniaturmaler. Mit jedem weiteren Beitrag stieg der Status des Stammbuchs ebenso wie der seines Besitzers, der mit Hilfe des Albums Zugang zu höchsten Kreisen erlangte. Zugleich entwickelte sich mittels des Buches ein Netzwerk quer durch Europa, das mit dem Stammbuchhalter als zentraler Figur Fürsten, (Hof-)Künstler und Mittlerpersonen umfasste (mehr dazu s. Einführung).

Bereits Herzog August d. J. zu Braunschweig-Lüneburg und ab 1635 Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel, der lange mit Hainhofer korrespondiert hatte, wusste ob der außergewöhnlichen Bedeutung des Großen Stammbuchs und versuchte es nach Hainhofers Tod für seine Bibliothek zu erwerben. Jedoch erst 2019/2020 konnte diese Kostbarkeit frühneuzeitlicher Hof-, Kommunikations- und Manuskriptkultur für die Herzog August Bibliothek mittels mehrerer Förderer erworben und anschließend in hoher Qualität digitalisiert werden. Dies stellte die Grundvoraussetzung für die Erschließung dar, da auf diese Weise das empfindliche und einzigartige Original geschützt werden kann.

Die Erschließung, Erforschung und Edition des Großen Stammbuchs war das Ziel eines mit dem Erwerb verbundenen, vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur und der VolkswagenStiftung geförderten, dreijährigen Forschungsvorhabens (Laufzeit 2021–2024).

Die eindrucksvolle buchkünstlerische Ausstattung des Großen Stammbuchs verlangte neben einer historisch-prosopographischen insbesondere nach einer kunstwissenschaftlichen Erforschung. Das sind im Einzelnen die Identifizierung der Inskribent*innen, der von ihnen gewählten Künstler und Motive, die Transkription und Übersetzung der in lateinischer, deutscher, französischer, italienischer und spanischer Sprache verfassten Einträge und die ikonographische Analyse der zuweilen komplexen Bildprogramme. Außerdem wurden eine Einordnung der räumlichen wie akteurszentrierten Entstehungszusammenhänge der Blätter angestrebt und die Daten wissenschaftlich aufbereitet.

Die nun vorliegende Wolfenbütteler Digitale Edition ermöglicht somit den Zugriff nicht nur auf das vollständige hochauflösende Digitalisat des Großen Stammbuchs, das nebst einer Handschriftenbeschreibung auch in der Wolfenbütteler Digitalen Bibliothek (WDB) zu finden ist, sondern auch auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Tiefenerschließung in Form eines digitalen Faksimiles der Handschrift mit Volltext und einem umfangreichen Kommentar zu Text und Bild sowie weiterführenden Informationen, Verschlagwortung, Registern und Instrumentarien zur Suche.

Enge Verbindungen des Stammbuch-Projekts bestehen zu dem DFG-Langfristvorhaben „Kommentierte digitale Edition der Reise- und Sammlungsbeschreibungen Philipp Hainhofers (1578-1647)“ (Dr. Michael Wenzel) an der HAB, da die Handels- und Sammeltätigkeit Hainhofers hinsichtlich seiner prominenten Inskribent*innen naturgemäß mit umfangreichen Reisen verbunden war. Wenngleich diese nicht zwangsläufig unmittelbar mit der Entstehung bestimmter Blätter einhergingen, sind die Reiseberichte doch eine wichtige Informationsquelle auch für die Rekonstruktion von Entstehungszusammenhängen einzelner Stammbuchblätter.